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Unterdrückte Wut

Heut hatte ich einen Traum. Es war eine Szene nach einem Treffen mit einem Mann. Ich hatte mich wohl verliebt, wollte ihn wieder sehen und schrieb ihm eine Nachricht. Er ignorierte mich und ich besuchte seinen Arbeitsplatz. Das erste was er sagte war: „Ich hab keine Zeit morgen und übermorgen und Mittwoch auch nicht.“ Darauf antwortete ich: „Aber ich hab doch gar nicht gefragt?“ Dann war er verunsichert und die Stimmung war komisch, fremd. Ich spielte so als hätte ich auch kein Interesse und ging nach Hause. 

 

Als ich aufwachte verstand ich sofort die Symbolik dieses Traumes. Wie oft habe ich meine Wahrheit, mein Empfinden unterdrückt, um zu..? In diesem Traum war ich verliebt, wollte ihn wieder sehen, zusammen sein, spielte jedoch die Coole, der es nichts ausmacht, die nicht ‚mehr‘ will. In Wahrheit suchte ich nach Lösungen ihn zu sehen, zerbrach mir den Kopf, hatte Liebeskummer, doch was ich kommunizierte war etwas ganz anderes. Ich unterdrückte meinen Schmerz nicht gesehen und wertgeschätzt zu werden, ich unterdrückte den Schmerz der Abweisung, indem ich eine Rolle spielte. Ich spielte die Unnahbare, Starke, damit er ja nicht erkennt wie verliebt ich bin und mir den ganzen Tag den Kopf zerbrach. 

 

Woher kenne ich dies noch aus meinem Leben? Und es regnete Erinnerungen. Erinnerungen von Momenten der unterdrückten Wut, Enttäuschung, Schmerz. Erinnerungen meiner unterdrückten Stimme, meiner Wahrheit. Wie oft kam es vor, dass ich aufhörte zu erzählen, weil das Gegenüber nicht mehr zuhörte, weil mein Gegenüber die Wahrheit nicht sehen wollte. Wie oft bin ich verstummt, weil ich nicht verrückt wirken, zu viel, zu wenig sein wollte. Weil ich nicht diesen Job habe, dies und jenes tue, was ja anscheinend das Beste für mich wär. 

 

All das Fühlen, Zulassen, mich fliessen lassen, das ich unterdrückte spiegelt sich im Verhalten meiner Nachbarn. Sie schreit ihren Mann an, ununterbrochen. Nachts, tagsüber, für Stunden. Sie schreit und schreit wie falsch er sei, ein Nichtsnutz, der Dumme. Er schreit nie zurück, lässt es über sich ergehen. Er schweigt, er verschluckt, er geht unter in sich selbst. Er kann seine Wahrheit nicht sprechen also schwappt es über zu mir. Ich fühle die Wut für Monate. So viel Wut habe ich im Leben noch nie empfunden, mein Rücken brennt, mein Nacken. Ich bitte meine Nachbarn aufzuhören, sie schreit weiter. Ich melde es der Verwaltung, sie schreit weiter. Meine Wut gilt nun nicht mehr nur der unausstehlichen Frau sondern dem schwachen, alles erduldenden Mann. Dann spreche ich endlich die wirkliche Wahrheit. Ich bitte nicht mehr darum, ich sage jetzt ist Schluss! Bei jedem Sorry des Mannes, der mir nicht mal in die Augen sehen kann, lasse ich mich nicht mehr einlullen. Ich spüre, wie ich mich nicht mehr verbiege, mich der Situation anpasse. Ich nehme das Sorry nicht an, ich bleibe bei meinem ‚jetzt ist einfach fertig, sonst kommt die Polizei‘. Und seit dem ist Ruhe. Monate habe ich es ausgehalten, wollte niemandem schaden, war zu nett, zu freundlich, zu verständnisvoll. Doch in mir hat es gebrannt. 

 

Kannst du dir vorstellen wie viel Wut da im Kollektiv ist, von all dem Verstauen, Anstauen, runter schlucken? Von all der Wahrheit, die nie gesprochen wird? Kannst du dir vorstellen wie viel Schmerz da im Kollektiv ist, von all dem Abgewiesen werden, nicht gesehen werden und so tun, als würde es dir nichts ausmachen? Stell dir vor wie viel Feuer in unserer Kehle brennt, von all den Neins, die nie ausgesprochen wurden, all den Stopps? 

 

Es ist bestimmt niemandem entgangen, dass die letzten Wochen viel Wut im Feld war. Wut, brodelnde Vulkane, und viele die ausgebrochen sind. Endlich wird mal die Wahrheit gesagt. Gesagt, wie wir wirklich fühlen, ausgesprochen, was wir wirklich meinen. 

 

Lieber Mann aus meinem Traum, in Wahrheit hatte ich nur dich im Kopf und dein Desinteresse tat mir weh. Es tut mir weh, dass du dein Desinteresse nicht kommunizieren kannst und mich stattdessen ghostest, mir ausweichst. Liebe Fabienne aus meinem Traum, du musst ihn nicht anlügen um nicht schwach zu wirken, du musst nicht so tun als würde es dir nicht weh tun, lass es raus, steh zu dir und deinen Gefühlen. 

 

Und so spreche ich alles aus, spucke Feuer. Ich sage Nein, ich sage Stopp. Ich muss nicht jedem gefallen, nicht jede muss mich mögen. Ich muss nichts verstecken, recht machen. Ich darf die Wahrheit sprechen. Ich darf verletzlich sein. Ich darf eine Drachin sein. Ich darf meine Wahrheit verkörpern, indem ich sie ausspreche, ihr eine Stimme gebe. 

 

Plötzlich ist da so viel Speichel in meinem Hals, in meinem Mund. All die Spucke, die mir weg blieb ist nun da. So lass ich sie fliessen, bis alles draussen ist. Ich hab nun alles gesagt und nehme mir vor nicht mehr zu lügen, mich nicht mehr zu verbiegen. Ich bin nicht zuviel, ich bin nicht zu wenig, ich bin wie ich bin und so ist es richtig. 

 

Ich teile diesen Text mit dir, weil du dich sicherlich in der ein oder anderen Zeile wieder findest. Lass es raus! Wenn nicht körperlich, dann energetisch. Wir können auch Jahre später Nein oder Stopp sagen, nicht unbedingt zu der eigentlichen Person/Situation, sondern energetisch mit der Absicht es auszusprechen. Nichts wirkt so befreiend wie die Wahrheit zu sprechen, der Wahrheit Raum zu schenken. Unverziert, unverschönert, einfach pur. 

 

Wir sind trainiert, ja konditioniert Dinge, Situationen und Menschen zu verschönern, auszuschmücken, verbiegen, anpassen, zurecht zwicken. Wir sind es uns gewohnt die Wahrheit nicht pur auszusprechen, sondern sie verstummen zu lassen. Ich nehme es so wahr, dass damit jetzt endgültig Schluss ist. Dass die Wut in einigen von uns rauf kam, wir Vulkanen in der Familie oder im Umfeld begegnet sind. Wir selbst der Vulkan waren. Ich nehme aber auch wahr, dass es jetzt nach den Ausbrüchen ruhiger wird, friedlich. 

 

Alles ist gesagt, jetzt darf ich ausruhen. 

 

In dieser Ruhe wachsen die Blümchen neu und die bunte Wiese erscheint. Es wird Frühling und die Sonne erwacht. Wie schön, dass wir immer treuer werden, mit uns selbst. Denn so kann Frieden einkehren, pure fliessende Ruhe. 

 

Sein im ‚Angekommen sein‘, weil ich mich zulasse. 

 

Happy Weekend!

Fabienne

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