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Die Fee in mir

Es war einmal ein Mädchen, das lieber ein Junge sein wollte. Sie wollte im Dreck spielen, auf Bäume klettern, Baumhäuser bauen, cool sein. So spielte sie auf dem Spielplatz und benied die starken Buben, die Nägel in Holz hämmerten und sich rauften. „Was muss ich tun um ein Junge zu sein?“ fragte sie. Da antwortete jemand: „Stark sein!"

 

Das Mädchen wurde älter, schöner, bekam weibliche Formen und wurde begehrt. Sie genoss diese Aufmerksamkeit und machte sich jeden Tag noch hübscher, um wie eine Prinzessin begehrt und bestaunt zu werden. Die jungen Männer liefen ihr nach, wurden zu Ritter und kämpften, kämpften um die schöne Prinzessin, wollten sie für sich haben.

 

Ein starker schöner Ritter gewann und nannte die Prinzessin sein. Er sperrte sie in ein kleines Zimmer im Schloss des Königs. Niemand durfte sie sehen, nur er, denn sie war jetzt sein Besitz.

 

Die junge Prinzessin war sehr traurig. Sie wollte nicht mehr schön sein, Prinzessin sein. Sie muss stark sein, wie ein Junge, um den Ritter zu besiegen und aus dem Schloss zu fliehen. So trainierte sie jeden Tag, wenn der Ritter weg war in ihrem kleinen Zimmer ein starker Junge zu sein. Sie wurde schwer und hart und als der Ritter eines Tages in ihr Zimmer kam erschrak er. „Wer bist denn du, du hässliche Gestalt? Fort mit dir, verschwinde.“ Die Prinzessin rannte, rannte so schnell sie konnte aus dem Zimmer, aus dem Schloss fort in den Wald.

 

In dem Wald da lebte sie eine lange Zeit. Sprach zu den Tieren, schlief in Baumhöhlen und machte abends Feuer, als eines Tages eine Fee auf ihrem Schoss landete. Eine zarte schöne Fee im rosaroten Kleidchen kicherte die Prinzessin an. „Huch, hallo..“, sagte die junge Frau. „Hallo schöne Frau, warum siehst du denn aus wie ein Junge?“ fragt die Fee zärtlich. „So bin ich stark, niemand will mich haben und niemand kann mir etwas tun.“ „Verstehe“, erwidert die sanfte Fee. Die beiden sitzen eine Weile am Feuer, als die Fee plötzlich ihre Flügel aufschlägt und sagt: „Komm mit ich zeige dir etwas.“ Die Prinzessin folgt der Fee. „Nicht so schnell..warte!“

 

Als die Fee auf einer grossen weissen Kugel landet, setzt sich die junge Frau, ganz ausser Atem hin. „Das ist die Essenzkugel. Sie zeigt wer wir wirklich sind, wenn wir tief hineinschauen. Die junge Frau sagt entsetzt: „Nein, ich möchte nicht die schöne Prinzessin sein, ich möchte stark bleiben.“ Die Fee kichert: „Glaube mir, du wirst überrascht sein.“ So schaut die Prinzessin wiederwillig in die Kugel und sieht ihr Spiegelbild. Ganz dreckig ist sie, mit zerzaustem kurzen Haar. „Wow ich bin ja wirklich hässlich“, sagt die Frau. „Schau tiefer“, flüstert die Fee. Als die junge Frau tiefer in die Kugel schaut, sieht sie plötzlich sich selbst als Kind. Sie sieht sich als kleines Mädchen von Oben, als würde sie schweben. Sie sieht sich auf dem Spielplatz ganz alleine auf einer Wiese. Sie sieht sich Blumen pflücken und eine Blumenkette basteln. Sie hat langes schönes Haar und ein rosarotes Kleidchen an. Sie spricht mit jemandem. „Ich spreche mit dir!“ ruft die junge Frau und schaut ganz erschrocken die Fee an. Die Fee zeigt auf die Kugel und die Frau schaut wieder hinein. Sie sieht das kleine Mädchen fröhlich Blumen pflücken und mit der Luft sprechen, als plötzlich ein grosser Junge auf sie zu rennt und ihre Blumenkette zerreisst. Du sprichst mit dir selber, du bist verrückt. Er tanzt auf der Wiese umher, während er die Blumen zerreisst und schreit: „Sie ist verrückt, sie ist verrückt.“ Das kleine Mädchen rennt weinend davon. Es rennt nach Hause zu ihrem Mami. Die Mama tröstet sie und fragt was denn passiert sei, doch das Mädchen schämt sich und sagt nichts. „Das hab ich ganz vergessen“, sagt die Frau zu der Fee, doch die Fee zeigt weiterhin in die Kugel, damit die Frau zu Ende schaut.

 

Die Frau kann es nicht fassen was sie sieht. Sie sieht das Mädchen wie sie vor ihrem Zimmerspiegel steht und sagt: „Nie mehr werd ich mit dir sprechen, Blumen pflücken und verrückt sein. Ich bin kein schwaches Mädchen. Ich bin stark und niemand kann mir etwas tun.“

 

Und so sah die junge Frau das Herz des kleinen Mädchens, wie es kleiner wurde und sich verschloss. Das Zimmer des Mädchens wurde ganz dunkel, die Farben grau. Die Sommersprossen auf dem Gesicht des Mädchens verschwanden zusammen mit ihren Kleidchen. Es wurde immer dunkler, bis die Frau in der Kugel fast nichts mehr erkennen konnte. „Jetzt kommt’s“, sagt die Fee. Es wird plötzlich wieder hell und eine wunderschöne Frau erscheint. Sie hat braun gewellte Haare, grüne Augen, Sommersprossen und ein leichtes Lächeln im Gesicht. „Hallo meine Kleine, ich hab dich vermisst“, flüstert sie zärtlich. Sie streicht dem Mädchen über ihr Haar. Das Mädchen schlägt sie mit Fäusten weg, ist ganz ausser sich und schreit: „Lass mich in Ruhe du blöde Kuh.“ Die schöne Frau hält das Mädchen fest und sagt: „Ich liebe dich, ich liebe dich so sehr, es tut mir schrecklich leid, dass ich dich alleine liess, doch jetzt bin ich da für immer und werde dich nie wieder im Stich lassen.“ Das Mädchen muss schrecklich weinen und die Frau hält sie fest in ihren Armen. „Ich liebe dich!“

 

Plötzlich geschieht etwas und die Frau erkennt sich in der Kugel. Sie ist etwa so alt wie jetzt, jedoch schaut sie ganz anders aus. Sie ist ganz sanft, mit langen schönen Haaren, wie damals als Prinzessin, aber mutig und stark. „Eine Ritterprinzessin“, lacht die Frau. Die Fee kichert im Hintergrund. Gespannt beobachtet sich die Frau. Die schöne Frau lebt ebenfalls im Wald, jedoch schaut dieser Wald ganz anders aus. Er glitzert und leuchtet in allen Farben. Viele Freunde hat die Frau. Menschen, Tiere, Gnome, Elfen und Feen, sogar die Bäume haben Gesichter und sprechen. Als sie sich in ihren Garten setzt, leuchtet da etwas neben ihr. Es sieht aus wie eine Truhe, aus der ein Lichtlein dringt. Sie sieht wie andere Menschen sie besuchen, mit ihr Tee trinken und lachen. Sie sieht wie die Frau den anderen Menschen die Truhe zeigt und sie diese dann öffnen. Es erscheint immer ein ganz helles Licht und die Menschen lachen noch mehr. Es werden plötzlich alle zu Ritterprinzessinnen. Gross, schön, stark und mutig. Als die Menschen dann ganz sanft sprechen und den Garten in Ruhe und Frieden hüllen, sagt die Frau: „Nein, das sind keine Ritterprinzessinnen, das sind Feen.“ Die Fee freut sich: „Guck weiter!“

 

Sie sieht den Ritter, der ihr damals ihre Freiheit nahm. Er sitzt da im Garten mit der Feefrau. Er sitzt da in seiner Rüstung und redet mit ihr. Die Feefrau spricht ganz sanft mit ihm und streicht ihm über die Schulter. „Ich liebe dich“, sagt sie. Der Ritter muss auf einmal ganz fest weinen. Je mehr der Ritter weint, desto mehr verschwindet seine Rüstung. So sitzt er plötzlich da, ganz nackt und schaut ganz sanft aus. Sie umarmen sich und der nackte schöne Mann verlässt den Garten.

 

So schaut die Frau für Stunden in die Kugel, muss weinen, muss lachen, bis die Fee plötzlich sagt: „Komm wir gehen nach Hause.“ Die Frau spaziert neben der Fee durch den Wald, sieht ein Mädchen kichernd auf der Wiese Blume pflücken. Sie geht hin und sagt: „Machst du mir bitte auch so eine Kette? Die ist wunderschön.“ Das Mädchen strahlt und knüpft geschwind, eine Kette für die Frau. Die Frau bedankt sich und spaziert weiter. Als sie beim Feengarten vorbei kommt, setzt sie sich zu der Feenfrau und zeigt auf die Truhe. Die Feenfrau lacht und sagt: „Natürlich.“ Die Frau öffnet die Truhe und spürt Wärme. Sie spürt Liebe und Vollkommenheit. Sie spürt wie ihr Rücken leicht wird, so leicht, dass sie plötzlich schwebt. Sie schwebt höher und höher und schaut nach unten. Laut muss sie lachen und ruft:

 

„Du bist ich und ich bin du. Du bist die Fee in mir, ich liebe dich.“

 

(c) Fabienne Hofmann

#essenz

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