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Die Geschichte von der großen und der kleinen Frau

Wer lieber Hörspiel mag hier


Es waren einmal zwei junge Freundinnen. Die eine junge Frau war klein und schüchtern, die andere groß und selbstbewusst. Beide Frauen waren hübsch und sehr talentiert, doch nur die eine wusste das, die andere dachte sie sei talentfrei und nicht schön.

Die kleine Frau beneidete die große Frau. Denn die große Frau hatte ihr eigenes Geschäft, viele Kunden und viel Geld. Sie hat ihre Leidenschaft zu ihrem Beruf gemacht und liebte was sie tut. Sie strahlte stetig viel Energie aus, war immer am lachen und fröhlich. Sie war so unglaublich authentisch.

So sagte die kleine Frau eines Tages zu der Großen: „Ich möchte auch so sein wie du. Ich möchte auch viel Geld verdienen und so glücklich sein wie du.“

„Oh das ist nett von dir liebe Manuela. Warum bist du denn nicht glücklich?“

„Ich arbeite nun Tag ein Tag aus als Angestellte in einem Büro und komme am Abend nach Hause und bin müde. Ich denke mir oft, das kann es doch nicht gewesen sein, nur zu arbeiten. Dann schaue ich dich an. Du hast so viel Energie, machst so viele tolle Dinge, bist so kreativ und dann auch noch erfolgreich und schön. Ich wünschte ich wäre so mutig und selbstbewusst wie du. Ich bin so schüchtern und keiner nimmt mich wahr. Ich bin ein Niemand.“

„Danke dir von Herzen für dieses Kompliment, doch du bist genauso wunderbar, voller Energie und wunderschön. Möchtest du auf eine Reise mit mir gehen und ich zeige dir wie wunderbar du bist?“

„Ja sehr gerne.“

So packten die beiden ihre Koffer und machten sich auf den Weg ins Wunderland. Das Wunderland liegt hoch in den Bergen, hat tolle Seen und Wälder. Wunderschöne Blumenwiesen und verborgene Schätze unter der Erde. Als die beiden auf einer Kreuzung stehen, fragt die kleine Frau: „Und wo gehen wir jetzt durch?“ „Das entscheidest du, liebe Manuela.“ „Ok ich möchte hier durch.“ Manuela zeigt mit ihrem Finger nach rechts und die beiden wandern weiter. Sie laufen über einen Kieselweg und nach einer Weile werden die Kiesel zu Steinen. „Ganz schön holprig dieser Weg, hätten wohl doch links gehen sollen.“ „Nein nein, deine Entscheidung war schon richtig!“ Die beiden jungen Frauen steigen über die Steine, die immer größer und größer werden. Bis sie vor einem riesigen Felsgestein stehen bleiben. „Na toll und was jetzt?“ „Frag den Felsen was er dir zeigen möchte. Hier im Wunderland ist alles möglich.“ Manuela schaut verzweifelt. „Lieber Fels, warum stehst du mir im Weg, was soll das?“ Der Fels antwortet nicht. „Wunderland, dass ich nicht lache, los wir kehren um.“ „Willst du denn nicht wissen, was sich hinter diesem großen Felsen verbirgt?“ „Da müssten wir raufklettern und ich will da nicht runterfallen, sonst breche ich mir ja noch alle Knochen, oder sterbe sogar.“ Da hört Manuela den Stein leise lachen. „Oh du kannst reden. Lachst du mich etwa aus?“ Der Fels sagt: „Nein, ich lache dich nicht aus, ich bekomme dies nur oft zu hören. Die meisten kehren dann wieder um, fast niemand getraut sich über mich zu steigen und verpasst somit all die Wunder die sich hinter mir verstecken.“

Manuela trotzt und läuft vom Felsen weg. „Niemand getraut sich da hoch zu steigen, Wunder verbergen sich hinter dem Felsen, ha ha...“ Plötzlich bleibt sie stehen und läuft zurück zum großen Fels. „Na gut, ich steig da hoch, aber nur wenn du mir versprichst das da auch wirklich große tolle Wunder hinter dir sind.“ „Was wenn ich dir sage, dass da vielleicht gar nichts ist? Steigst du dann trotzdem hoch?“ fragt der Stein. „Du hast gesagt, dass alle Menschen die Wunder verpassen wenn sie es nicht tun. Lügst du mich an?“ „Nein, hier im Wunderland ist alles möglich. Es kann sein, dass große Wunder auf dich warten, vielleicht geht es nachher aber genau gleich weiter und der nächste Fels steht im Weg. Das kannst du nur herausfinden, wenn du über mich steigst.“ Manuela schaut die große Frau an und fragt: „Hilfst du mir?“ „Na klar.“ Sagt sie. Die beiden steigen Schritt für Schritt den Felsen hoch. Reichen sich die Hände und ziehen sich gegenseitig hoch. Schritt für Schritt. Nach langen Stunden kommen die beiden schweißgebadet oben an. Manuela gibt ihrer Freundin ein High Five und strahlt. „Boah, geschafft, wie geil!“ 

Manuela schaut sich um und entdeckt ein Wanderschild. Pfad der Mutigen – zu den Wundern geht es hier lang. Sie lacht und die beiden steigen langsam den Fels hinunter auf den Pfad der Mutigen. „Fühlt sich toll an, nicht?“ fragt die große Frau. „Ja ich hätte mir das nie zugetraut. Bin gespannt was uns als nächstes erwartet.“

Nach einer Weile treffen die Beiden auf ein altes Ehepaar. Der Mann sitzt am Boden und meditiert, die Frau sammelt Blumen von der Blumenwiese. „Guten Tag.“ Ruft die alte Frau. „Schön wieder mal Menschen auf diesem Pfad zu treffen.“ „Wohnt ihr hier?“ fragt Manuela. „Ja wir fühlen uns hier am wohlsten.“ Antwortet die alte Dame.
„Wissen Sie was für Wunder am Ende dieses Pfades sind?“ „Nein so weit sind wir noch nie gekommen, aber ich wünsche euch viel Freude und das ihr das Richtige findet.“ Manuela bedankt sich und ist verwirrt. Das richtige finden? Warum leben die auf einem Pfad und schauen sich nicht die Wunder am Ende des Pfades an?

Die beiden jungen Frauen wandern stetig weiter, auf dem Pfad der Mutigen, bis sie an einen Wasserfall kommen. Betrete den Strom des Lebens, steht da auf einem Schild. Manuela schaut sich um. Es gibt keinen anderen Weg außer diesen Wasserfall runter zu springen, oder alles wieder zurück zu wandern. Manuela bekommt Panik. Was wenn ich diesen Sprung nicht überlebe? Denkt sie sich. Aber..es heißt ja der Strom des Lebens, da wird man wohl nicht sterben. Sie erinnert sich wie sie den großen Felsen bezwungen hat und wie glücklich sie sich gefühlt hat als sie oben ankam und packt ihre Freundin an der Hand. „Ready?“ „Ready!“ Die beiden springen ohne zu zögern den Wasserfall hinunter und landen mit einem lauten «Platsch» im Wasser. Manuela lacht. „Das war ja noch viel besser, unglaublich!“ Die beiden lachen und lassen sich von der Strömung tragen. Manuela legt sich auf den Rücken, beobachtet die Wolken und schert sich nicht wo sie die Strömung hinträgt. Sie fühlt ein tiefes Vertrauen in diesen Strom des Lebens und spürt, dass der Strom schon weiß was er tut. Die Strömung wird mal stärker, mal schwächer und Manuela lässt sich mit ihrer Freundin treiben. Die Wolken am Himmel verdichten sich und es fängt an zu regnen. Manuela dreht sich auf den Bauch und schwimmt etwas schneller. Einmal stößt sie sich an einem Baumstamm an, hält sich einen Moment fest und lässt dann wieder los. Die Sonne scheint wieder und Manuela lässt sich weiterhin treiben. So treiben die beiden im Strom des Lebens, Tag und Nacht, im Regen und in der Sonne, im Wind und in der Windstille, durch starke und schwache Strömungen. Manuela schließt ihre Augen und atmet tief ein.

Als sie wieder ausatmet und ihre Augen öffnet, steht sie alleine an der Kreuzung, wo sie vor Tagen mit ihrer Freundin gestanden ist. Sie schaut verwirrt umher, sucht verzweifelt ihre Freundin, als sie eine Stimme im Wind wahr nimmt. „Sei unbesorgt, vertraue.“ Sie steht ratlos an der Kreuzung und setzt sich auf den Boden. Soll ich jetzt schauen was passiert wenn ich rechts gehe? Soll ich zurück nach Hause? Ist meine Freundin im Strom des Lebens geblieben?

So sitzt sie da und zerbricht sich den Kopf. Als plötzlich eine kleine Elfe mit einem riesengroßen Rucksack an ihr vorbei läuft. „Halt warte, wo gehst du hin?“ „Das weiß ich noch nicht, ich geh mein Leben malen.“ Manuela steht auf und begleitet die Elfe geradeaus. „Dein Leben malen?“ „Ja ich hab eine große Leinwand und Farben dabei. Ich suche mir einen tollen Platz zum malen aus.“ „Und dann, wenn das Bild fertig ist?“ „Wie meinst du fertig? Fertig ist langweilig, mir macht das Malen ja Freude.“ „Darf ich auch mitmachen?“ „Zum guten Glück habe ich noch eine zweite Leinwand dabei, als hätt ichs gewusst.“ Grinst der Elf. Die beiden wandern zu einer Klippe und setzen sich nieder. Vor ihnen das weite Meer und der Horizont. Die Elfe stellt die beiden Leinwände auf und beginnt zu malen. „Was muss ich tun?“ fragt Manuela. „Lass dich leiten.“ Antwortet der Elf.

Manuela nimmt einen Pinsel in die Hand und stellt sich vor ihre Leinwand. Eine große weiße leere Leinwand. Sie erinnert sich warum sie diese Reise antreten wollte und malt ihre große, erfolgreiche schöne Freundin. Sie malt die vielen Kunden, das viele Geld und das authentische Lachen. Als sie völlig im Fluss ist, malt sie noch ihr Traumhaus und ihren Traummann dazu, einen Hund, eine Katze und ein paar Hühner. Neben das Haus malt sie einen dichten Zauberwald, mit einer Lichtung zum Meer. Sie malt und malt und staunt wie sich die leere weiße Leinwand in ein farbiges volles Kunstwerk verwandelt. Nach einer Weile legt sie den Pinsel nieder und steht vor ihre Leinwand. „Wow, das ist mein Traumleben, so will ich leben.“

Die kleine Elfe stellt sich neben Manuela und sagt: „Dein Wille geschehe!“

Manuela spürt eine warme Energie die sie umhüllt. Sie erinnert sich an die Worte des Felsens, sieht ihr Stolz und ihre Freude als sie oben ankam, sieht sich den Wasserfall runter springen, im Wasser treiben lassen, das Wetter beobachten wie es sich stetig verändert. Sie sieht den kleinen Elf wie er ihr Leinwand, Pinsel und Farbe gibt, wie sie vor dem Horizont steht und anfängt zu malen.. und plötzlich wird sie grösser und grösser, die Leinwand wird kleiner und der Elf verschwindet. Sie schwebt vom Boden weg und ihr Körper füllt sich mit Leichtigkeit. Sie schwebt über das kristallklare Wasser und schaut hinein. Sie sieht eine wunderschöne große Frau die strahlt. „Da bist du ja meine liebe Freundin.“ Sie starrt die schöne Frau im Wasser an und plötzlich realisiert sie, dass sie das ist. Sie schaut ihr Spiegelbild im glasklaren Wasser an. Und so sah sie sich das erste Mal ganz anders. Sie genoss ihre Schönheit, ihr strahlen und ihre Größe, denn sie war jetzt viel Größer als noch vorhin, als sie die Reise ins Wunderland antratt.
Bepackt mit dieser warmen, wundervollen Energie schwebte sie zurück zur Klippe. Packte ihr Kunstwerk unter die Arme und bedankte sich von Herzen bei der kleinen Elfe. Sie machte sich auf den Weg nach Hause. Als sie wieder an die Kreuzung kam, dachte sie sich kurz, dass sie gar nicht weiß was links alles auf sie warten würde, doch dann beschloss sie, dass sie diese Reise ein ander Mal machen könnte und lief zufrieden nach Hause.

Monate vergingen und Manuela arbeitete wieder im Büro, träumte immer wieder vom Wunderland und vergaß schon fast den schönen Anblick, den sie damals im Wasser hatte. Als sie sich eines Tages entschloss, ihre Reise auf eine Leinwand zu malen. Sie kaufte sich Pinsel, Farben und eine große Leinwand und begann zu malen. Sie malte den Kieselweg und den Fels, den Wasserfall, das alte Ehepaar und der kleine Elf. War der Elf eigentlich ein Männlein oder Weiblein? Das war mir gar nie aufgefallen, dachte sie sich. Nun, spielt denke ich keine Rolle.
Als sie malt, spürt sie das warme Licht dass sie umgibt und wie sie wieder größer und schöner wird. Sie beobachtet wie sie sich verändert und atmet tief ein und aus.


Manuela sitzt im Büro, als die Chefin vorbei kommt und sie fragt: „Könntest du bitte unser Unternehmen an der folgenden Messe vertreten? Du bist schon so lange bei uns und weißt am besten Bescheid, ich schaffe es leider nicht.“ Manuela ist ganz erstaunt und bekommt Panik. „Ich?“ „Ja? Hast du Zeit?“ Manuela krallt den Tisch und stellt sich die Menschenmenge vor, wie sie ihr Fragen stellen und sie die Antworten nicht kennt. Wie sie klein und unsichtbar ist und talentfrei. Als die Panik immer größer wird und Manuela absagen will, erscheint das warme Licht um sie herum. Sie hört die Stimme des Felsens sagen: „Hier im Wunderland ist alles möglich. Es kann sein, dass große Wunder auf dich warten, vielleicht geht es nachher aber genau gleich weiter und der nächste Fels steht im Weg. Das kannst du nur herausfinden, wenn du über mich steigst.“ Wie vom Blitz getroffen steht sie auf, gibt ihrer Chefin die Hand und sagt: „Ja ich bin gerne dabei, danke für diese Möglichkeit.“ Die Chefin schaut zufrieden und Manuela lässt sich erschöpft im Bürostuhl sinken. „Ich schaffe das!“ sagt sie und arbeitet motiviert den Rest des Tages weiter.

Die Messe steht an und Manuela durchforstet ihren Kleiderschrank. Kleid für Kleid probiert sie an, doch nichts passt. Das eine Kleid ist zu farblos, das andere unvorteilhaft. Sie steht vor dem Spiegel und weint. Sie ist doch viel zu klein und unscheinbar und etwas tolles anzuziehen hat sie auch nicht. Als plötzlich ihre Freundin ihr ins Ohr flüstert: „Sei unbesorgt, vertraue.“ Sie legt sich aufs Bett und kreist in Gedanken. Sie schwebt in den Wolken, als sie plötzlich eine Idee hat. Sie sprintet vor ihren Spiegel, schaut sich tief in die Augen und sagt: „Dein Wille geschehe!“ Wie von Geisterhand verwandelt sich Manuela wieder in die schöne, selbstbewusste strahlende Frau. Sie nimmt das farblose Kleid und zieht es an. Plötzlich sieht das Kleid ganz anders aus – Sie sieht ganz anders aus. Sie ist wunderschön und strahlt. Bepackt mit diesem Mut, mit dem Vertrauen und ihrer wahren Größe macht sie sich auf den Weg zur Messe. Die Menschen an der Messe begrüßen sie freundlich. Ein junges Mädchen macht ihr sogar ein Kompliment, dass sie ganz hübsch sei. Manuela ist voller stolz und Selbstvertrauen und zieht Kunden wie Magnete an. Der Tag verfliegt wie im Flug und Manuela hat ganz viele neue Kunden für das Geschäft gewonnen.

Zufrieden und überglücklich geht sie nach Hause und sagt: „Ab heute nur noch so!“


So vergingen Jahre und wenn Manuela wieder Angst hatte, sich nicht traute und  mutlos fühlte, dachte sie an den Fels, seine Worte und die Wunder.

Wenn sie mal nicht weiter wusste und wieder an einer Kreuzung stand, erinnerte sie sich an die wundervollen Worte der großen Frau.

Wenn sie sich wieder klein und unscheinbar fühlte, so stand sie vor den Spiegel und sagte: „Dein Wille geschehe!“

So war sie immer seltener klein, kündigte im Büro und baute ihr eigenes Geschäft auf. Sie leitete Reisen ins Wunderland, mit Menschen die traurig waren und sich klein fühlten. Sie malte weiter tolle Kunstwerke und brachte ihren Kunden bei wie man das ganze eigene Wunder auf Leinwand bringt. So wurde sie immer erfolgreicher, zog viel Geld und Kunden an, lernte ihren Traummann kennen und zog mit ihm ans Meer, in ein tolles Haus mit Hund, Katz und Hühner.

Sie ist glücklich, sie ist erfüllt, von ganzem Herzen, die große Manuela.


– Eine Kurzgeschichte von Fabienne Hofmann

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